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Nachfahren von Holocaust- Ãœberlebenden tragen sich in das Goldene Buch der Gemeinde ein

Joanna Kalowski und ihren Mann John Hempton beim Eintrag in das Goldene Buch. Foto: Michael Wittich.

Wennigsen. Das Programm zur Stolpersteine-Verlegung mit den Gästen aus Australien ging noch weiter: Nach einer Gästeführung durch Wennigsen mit dem ehemaligen Ortsbürgermeister Franz-Josef Blazek am Vormittag, der eigentlichen Stolpersteine-Verlegung und der Straßenschild-Enthüllung am Nachmittag gab Bürgermeister Ingo Klokemann am Abend ein Essen für geladene Gäste im Bürgersaal des Rathauses. Als Höhepunkt nach dem Essen und Vorträgen von Stolpersteine-Initiator Wolfgang Schulz und Organisator Michael Wittich holte Klokemann überraschend das Goldene Buch der Gemeinde hervor und lies Joanna Kalowski, die Enkelin der durch Stolperstein und Straßenschild gedachten Laya Semler, einen Eintrag vornehmen, was sie „voller Stolz und Dankbarkeit für diese Ehre“ und mit der Versicherung tat, sie „werde heute nie vergessen“.

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Am Dienstag (21. Juni), dem zweitem Tag, stand pünktlich ein weinroter Reisebus vor der Klostermauer. Damit ging es für eine fünfzehnköpfige Gruppe nach Holzen bei Eschershausen. Wittich hatte die pensionierte Lehrerin Jutta Henze gebeten, eine Exkursion zum Thema „Zwangsarbeit im Hils“ zu leiten. Dazu unternahm der Busfahrer eine abenteuerliche Fahrt durch den Wald, natürlich mit Genehmigung des zuständigen Forstamts. An drei Stationen hielt der Bus und nach kleinen Fußmärschen gab es Vorträge von Jutta Henze: am Stollen Gustav, im Lager Wintjenberg und in einer wiedererbauten Baracke des Lenner Lagers. Der Nicht-Jude Adolf Semler hatte sich in der Zeit des Nationalsozialismus nicht von seiner jüdischen Frau Laya getrennt und war deshalb verhaftet und zur Zwangsarbeit in das Lager Wintjenberg im Hils verbracht worden.

Nach einem amerikanischen Luftangriff auf das Volkswagenwerk hatte dessen Geschäftsführung am 9. August 1944 den Entschluss gefasst, die Produktion auszulagern. Die Wahl war auf Asphaltgruben der Deutschen Asphalt AG (DASAG) im Hils gefallen. Dort wurden unter der Leitung der Organisation Todt unterirdische Produktionsstätten geschaffen und unter der Leitung der Minette GmbH, einem Tochterunternehmen des Volkswagenwerks, Kriegsgeräte hergestellt.

Am 7. April 1945 wurde Eschershausen von der US Army besetzt. Am gleichen Tag wurden auch eine Untergrundfabrik aufgedeckt und ein Kriegsgefangenenlager, ein Konzentrationslager und einige kleine Arbeitslager befreit. In diesen Lagern waren rund 1000 Gefangene von verschiedenen Nationalitäten interniert. So hat Adolf Semler die Haft und Zwangsarbeit überlebt, konnte nach Wennigsen zurückkehren und nach der Befreiung seiner Frau Laya aus dem KZ Theresienstadt und deren Rückkehr nach Wennigsen am 27. März 1947 mit ihr nach Sydney, Australien auswandern, wo Lajas Tochter Rosa bereits seit Juli 1939 lebte.

An der ersten Station der Exkursion, dem Stollen Gustav, mussten die Häftlinge des Lagers Wintjenberg arbeiten. Dafür gibt es einen Verbindungsweg. Obwohl die Stollen wegen Einsturzgefahr zur Zeit zugeschüttet werden, ist immer noch der Geruch von Asphalt in der Luft. Vom Lager Wintjenberg war eigentlich nur noch eine Lichtung im Wald zu sehen, aber Henze und Wittich haben bei der Vorbereitung der Exkursion eine Woche zuvor nach Überresten der Lagerbaracke gesucht und unter einer Moosschicht das Fundament wiederentdeckt. Mit einem eigens für diesen Zweck mitgebrachten Klappspaten wurden weitere Teile des Fundaments freigelegt. Joanna Kalowski und ihre Familie legten nach jüdischem Brauch mitgebrachte Steine darauf. In der wiedererbauten Baracke des Lenner Lagers befindet sich eine Ausstellung, leider noch ohne elektrischen Strom. Deshalb hatten die Teilnehmenden Taschenlampen mitgebracht und leuchteten, während Jutta Henze durch die informative Ausstellung führte. Anschließend ging es für ein kleines Mittagessen in die Kantine des Bildungszentrums Ith.

Eine Stunde später als geplant wurde die Exkursion in Wennigsen beendet, weshalb auch der Abschied von den australischen Gästen leider kürzer ausfallen musste. Die Kinder von Joanna Kalowski, Michaela und Rick, arbeiten für die Australian Broadcasting Corporation (ABC) und fertigen eine Rundfunk-Reportage über die beiden Tage an.

Wittichs Resümee: „Es waren bedrückende, aber lehrreiche Erfahrungen. –  Der Busfahrer hat die abenteuerliche Strecke durch den Wald sowie unsere schmutzigen Schuhe toleriert und das Kantinenpersonal unsere Verspätung. Auch der sonnige Himmel hat zum Gelingen beigetragen.“

Am ersten Tag engagierten sich die drei Schülerinnen Emily Günther, Marie Heissmeier und Hanna Hische mit Dolmetschen für die Gäste, am zweiten Tag waren es Luis Haasler und Finn Niermann. Sie haben einen guten Job gemacht. Wittich dankte ihnen und der Sophie-Scholl-Gesamtschule dafür.

Auch von den Reaktionen der Anwohner bei den Stolpersteinen war Wittich überwältigt: „Sie unterstützten meine Vorbereitungen und brachten den Gästen so viel Freundlichkeit entgegen. Sie luden sie am späten Montagabend noch zu sich ein, unterhielten sich und rätselten zusammen, wo das Ehepaar Semler im Haus gewohnt haben könnte. Ich glaube, das ist der Anfang einer facettenreichen Freundschaft.“

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