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Doppelmord Holtensen: Freispruch, oder lebenslänglich?

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Hannover/Holtensen. Am vorletzten Prozesstag zum Doppelmord in Holtensen sollten heute die Plädoyers gehalten werden, doch zuvor versuchte die Verteidigung noch einige Beweisanträge einzubringen, bis der Richter deutliche Worte fand. Die Plädoyers konnten so erst am Nachmittag gehalten werden. Angeklagt ist Ayas A., welcher die Tat in dem reinen Indizienprozess abstreitet. Es wird ihm vorgeworfen das Ehepaar U. in ihrem Haus aus Habgier und in Heimtücke ermordet zu haben. Es gibt keine Zeugen.

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Zunächst wurde ein Zeuge aus Berlin gehört, welcher der Verteidigung eine Frage beantwortete, ob er einen Kaufbeleg gesehen hätte. Da der Zeuge A.s Kfz-Werkstatt nach dem Mord kaufen wollte, hatte er sich nur einen Notarbeleg angeschaut. „Da war die Anfahrt sicher länger als die Befragung“, schickte Richter Martin Grote den Zeugen zurück nach Berlin. Weiter lehnte der Richter Beweisanträge ab, die die Verteidigung einreichen wollte. Alle hielt der Richter als ungeeignet für das Verfahren, da die Ergebnisse nicht eindeutig ausfallen würden. So lehnte er u.a. eine Analyse der Handschrift von A. auf Dokumenten ab, da nie eindeutig gesagt werden könnte, ob die Unterschrift absichtlich gefälscht, einfach nur anders aussieht, von A. absichtlich verfremdet, oder unter Zwang entstand. So lehnte er auch eine DNA-Analyse von Spuren unter den Fingernägeln der U.s ab. Die DNA von A. wurde dort ohnehin nicht nachgewiesen. Auch den Beweisantrag zu einem Autokauf von Karsten U. lehnte der Richter ab. U. soll einen schwarzen Porsche von einem Rumänen gekauft haben, der vermutlich gestohlen war und dessen Kauf rückgängig gemacht werden sollte. „Wo kommt jetzt dieser unbekannte Rumäne her“, so der Richter. Auch Screenshots von WhatsApp-Nachrichten zwischen A. und seiner Verlobten lehnte er als Beweis ab. Vielleicht sind sie echt, vielleicht auch bewusst platziert. „Wir müssen auch fertig werden. Man kann ja schon fast von einer Verschleppung des Verfahrens durch die Verteidigung ausgehen“, befand Grote, „Wir halten heute die Plädoyers!“

Das Messer aus dem Öltank konnte nicht als Tatwaffe identifiziert werden, oder ob es überhaupt in einem Bezug zur Tat steht. Die Spuren waren durch das Öl unbrauchbar geworden. 

War es der Angeklagte, der nach Holtensen fuhr?

Die Staatsanwaltschaft begann als Anklage ihr Plädoyer. A. habe sich nachweislich hoch verschuldet, nachdem er die Kfz-Werkstatt von Karsten U. abkaufte und sich in seinem Umfeld viel Bargeld geliehen. Die 310.000 Euro für die Werkstatt sollte in nicht weiter definierten Ratenzahlungen erfolgen. „A. hat sich private Darlehen von mindesten 500.000 Euro beschafft, die er alle nicht bedienen konnte. Die Werkstatt hat kaum Geld abgeworfen. Sein Leben hat er nur durch immer weitere Darlehen bestritten“, so die Staatsanwaltschaft. Karsten U. habe in der Werkstatt öfter erzählt, dass er Banken misstraue und viel Bargeld im Hause habe. A. soll daher geplant haben U. zu töten, um so an Bargeld zu gelangen und kein weiteres Geld an U. zahlen müssen. Mit einem Firmen-PKW eines Essenslieferanten, welcher zur Reparatur in der Werkstatt war, soll er am Samstagmorgen des Tattages nach Holtensen gefahren sein. A. wurde morgens auf einem Überwachungsvideo einer Tankstelle gegenüber der Werkstatt gesehen, jedoch nicht im Fahrzeug. Das Fahrzeug wurde in Holtensen gesehen, jedoch nicht eindeutig A., führte die Staatsanwältin ihren Verdacht aus. Im Haus soll A. dann Karsten U. mit 20 Messerstichen in Gesicht, Hals und Oberkörper getötet haben. Aus unbekannten Gründen erfolgten 14 weitere Stiche post mortem in die Augen. Sabine U. wurde mit 50 Messerstichen getötet. Die Einstiche waren so heftig, dass Finger fast abgetrennt und Rippen angebrochen waren. „Vielleicht nahm A. auch die Hausschlüssel mit und kehrte später zurück.“

„Es gibt keinen großen Unbekannten“

Auffällig fand die Staatsanwaltschaft auch den wohl fingierten Überfall auf A. in seiner Werkstatt nach dem Mord. „Hier wollte er von sich ablenken. Er wollte auch Mitarbeiter dazu bewegen, ihm ein falsches Alibi zu geben. Keiner weiß, wo A. an dem Samstagvormittag war“, so die Staatsanwältin weiter. A. soll auch versucht haben, Mitarbeiter in ein schlechtes Licht zu rücken, um von sich als Täter abzulenken. So soll ein Mitarbeiter viel Bargeld mit sich geführt haben, Scheine, die A. für eine Ratenzahlung genutzt haben will. Bewiesen ist das nicht. Droh-SMS an einen Mitarbeiter, dass die Werkstatt verkauft werden solle, sonst passiere dem Besitzer das gleiche wie U., sind Erkenntnissen der Anklage nach vom gleichen iPhone gekommen, welches später als Werkstatthandy genutzt wurde.

Die Schulden, ein offener Restbetrag beim Kaufpreis der Werkstatt, dass A. morgens wahrscheinlich mit dem PKW nach Holtensen fuhr und er am Vorabend noch die Adresse von U. googelte, vieles spreche für A. als Täter. „Es sind nur Indizien, aber es sind viele und alle deuten auf A. Es gibt keine Hinweise auf einen großen Unbekannten, der der Täter sein könnte.“ Die Staatsanwaltschaft fordert daher eine lebenslängliche Haftstrafe und die Anerkennung der besonderen Schwere der Schuld, womit die Haft nicht nach 15 Jahren beendet wäre. „Bei der Tat war ein Vernichtungswille zu erkennen.“

Die Nebenklage schloss sich der Staatsanwaltschaft an. Auch sie sieht es als unwahrscheinlich an, dass ein anderer als A. der Täter sein könnte. A. sei sicher am Morgen des Tattages von der Werkstatt nach Holtensen gefahren. Die massiven Schulden, der dilettantisch inszenierte Überfall nach der Tat. Das Messer im Öltank der Werkstatt. „Es gab zwar keine Hinweise auf dem Messer, doch jemand wollte es bewusst dort verstecken. Außerdem hat A. kein Alibi, wusste von dem Geld im Haus. Auch die gute Freundschaft zu U. glauben wir nicht. Keiner konnte diese bestätigen und A. hat sich selbst vor Gericht nicht weiter geäußert.“ Die Nebenklage forderte daher das gleiche Strafmaß wie die Staatsanwaltschaft.

Schwarzgeld. Überall Schwarzgeld!

Es sei ein Fall, den die Verteidigerin in ihren 20 Jahren in diesem Beruf so noch nicht erlebt habe. „Wir haben eine Menge Indizien gehört. Doch am Ende des Tages gilt ein Grundsatz, den alle hier kennen“, begann die Verteidigung ihr Plädoyer, „In dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten.“ Es habe Tage bei diesem Prozess gegeben, an denen sie ganz klar von der Unschuld ihres Mandanten überzeugt gewesen sei. An anderen Tagen jedoch gedacht: „Scheiße, er war es doch.“ Doch letztendlich ergebe alles keinen Sinn und keiner wisse, was genau passiert sei. „Daher kann es nur ein Freispruch sein.“

Was lässt sich eindeutig und nur dem Angeklagten zuschreiben? Eine Nachbarin habe vor Gericht ausgesagt, einen lauten gequälten Frauenschrei aus dem Hause U. gehört haben. Jedoch am Nachmittag des Tattages. Das Handy von A. sei zwischen 8 Uhr und 10.30 Uhr in der Funkzelle des Tatorts aufgetaucht, später nicht mehr. Der Gerichtsmediziner konnte den Zeitpunkt des Mordes nicht genau eingrenzen. „Vom Vormittag bis zum Nachmittag ist das Zeitfenster. U. wurde morgens noch gesehen. Der Rechner im Keller benutzt. Die Tat soll laut Staatsanwaltschaft nur Minuten gedauert haben, da das Handy von A. um 10.30 Uhr nicht mehr in der Funkzelle des Tatortes war. Jedoch habe A. keinerlei Spuren am Tatort hinterlassen, noch seien Blutspritzer an seiner Kleidung, oder in dem PKW gefunden worden.

Ein Mord wie ein Profikiller, findet die Verteidigung. „Hat A. sich vor der Tat vor den Augen von U. einen Ganzkörperanzug angezogen? Dann die gesamte Wohnung nach Geld durchsucht? Dokumente eingescannt und war dann noch rechtzeitig aus der Funkzelle verschwunden?“ Der Gerichtsmediziner habe das Sterben als Todeskampf beschrieben, welcher länger dauere. Das psychiatrische Gutachten spreche auch für den Angeklagten. „Das mag jetzt nicht schmeichelhaft sein, aber seine Mitarbeiter beschrieben A. vor Gericht als Feigling und als Kind. Der Psychiater beschrieb A. als nicht gewalttätig, oder psychopatisch veranlagt. „Ein normaler Mensch hätte aber eine Belastungsstörung nach so einer Tat, jedoch verhielt sich unser Mandant nachweislich wie immer.“ Zeugen hätten berichtet, dass eine Terassentür zu gewesen sei und ein Wasserhahn lief. Die Polizei sei jedoch montags durch eine auf Kipp stehende Terassentür ins Haus gekommen. Der Wasserhahn war aus. „Da muss nach der Tat noch jemand im Haus gewesen sein. Unser Mandant kann es nachweislich nicht gewesen sein.“

Auch ein Motiv sieht die Verteidigung nicht. Ohne U. hätte die Werkstatt keinen Meister gehabt. U. habe sich auch weiter um vieles gekümmert. Und die Schulden? „Machen wir uns nichts vor, dass ganze Umfeld schiebt sich Schwarzgeld hin und her. Das ist überall. Wie könnten Arbeitslose ansonsten fünf bis sechsstellige Beträge in bar als Darlehen vergeben?“ Auch das Geld, was U. bekommen habe und im Haus versteckte, sei Schwarzgeld gewesen. Jedoch hätte es für die Zahlungen Quittungen gegeben, von U. unterschrieben. Insgesamt 300.000 Euro für die Werkstatt. „Warum also U. töten und eine Zahlungsbestätigung einscannen, wo A. doch alle Quittungen als Beleg schon hatte?“ Die Zahlungsbestätigung sei rechtlich ohnehin wenig wert, da sie außer einer undefinierten Ratenzahlung nichts aussage.

Da A. die Morde nicht begangen habe, müsste der Überfall auch anders gesehen werden. Er wollte wohl nur Mitleid von seinen Geldgebern und sich etwas Zeit erkaufen, um die Schulden zurückzuzahlen.  

„Vielleicht weiß unser Mandant, wer der Täter ist, oder sein könnte. Uns hat er es nicht gesagt, vielleicht aus Angst.“ Da die Tat Ayas A. nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne, fordert die Verteidigung einen Freispruch.

Richter Grote wird das Urteil am Donnerstag gegen 14 Uhr verkünden.

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